Montag, 16. Juni 2014

Neun Tage auf schmalen Wegen

 
Wiedermal haben wir Ferien - und unglücklicherweise gleichzeitig fussproblemtechnisch fast das gesamte Repertoir zu bieten: einen schmerzenden Innenknöchel nicht ganz klarer Genese, Residuen einer Talusfraktur und eine schmerzende Achillessehne. Chamonix lockte trotzdem - nicht zuletzt eine während letzten Monaten erstellte "Chamonix-Bergmaterial-Shoppingsliste" zog uns gegen Süden.
Vor ziemlich genau einem Jahr fellten wir von Chamonix aus auf den Mt Blanc du Tacul, kletterten die Arete des Cosmiques, biwakierten auf dem Gletscherplateau auf rund 3600müm und kurvten zwischen den Gletscherspalten das Valle Blanche hinab. Diesmal jedoch blieb das ganze Bergsteiger-Arsenal den malträtierten Füssen zuliebe zu Hause. Einzig mit ein paar Trailschuhen, einem leichten Rucksack, den Schlafsäcken, einem Badetuch und besagter Einkaufsliste zogen wir los Richtung "Bergsteiger-Mekka" unweit der Schweizer Landesgrenze.

Die zurzeit beinahe perfekten Bedingungen für eine Mont Blanc Besteigung mit Ski machten uns den Verzicht auf diesen Peak nicht einfacher. Doch die 4000 positiven Höhenmeter unter problematische Füsse zu nehmen wäre schlichtweg Unsinn. Zuuu tief im Nacken sitzen mir "zeitlich ziemlich ausgedehnte" Erfahrungen letzter Jahre aufgrund verschleipfter orthopädischer Problemchen und Problemen. Nur in der Stube zu sitzen macht mich rasch schlechtgelaunt, kurzangebunden und grundunzufrieden. Manu wurde es jeweils bereits übel und unwohl, wenn wieder irgend ein orthopädisches Problemchen in ferner Sicht auftauchte. Irgendwann im Jahre 2012 kam er auf die Idee, seine Nerven zu schonen, indem er diese "schweren Zeiten" mit der Anschaffung eines Zweirades entschärft. Sein Lösungsansatz zeigte überragende Wirkung, so dass während den jetzigen Ferien sogar eine zweite Anschaffung getätigt wurde, welche 150cm mehr Federweg als die erste besitzt. Mit dem Beginn meiner Zweiräder-Ära wurden "untere-Extremität-Schonzeiten" wirklich ganz erträglich! Hauptsache irgendwo und irgendwie durch die Natur streifen und der Tag war ein guter Tag...

TAG 1: Am Ankunftstag begnügten wir uns mit einem Spaziergang durch die Bergläden und anschliessender Reko des Zustieges für eine Mt Blanc Besteigung in einem Tag. Neben dem Eingang des Mt Blanc Tunnels begann unser Abendausflug. Zuletzt stapften durch Schneefelder, dort oben, 1000 Meter über Chamonix trockneten uns die letzten Sonnenstrahlen unsere pflotschnassverschwitzten T-Shirts, bevor die rote Kugel hinter den Aiguilles Rouges verschwand und es schneller als gedacht dunkel wurde auf dem Abstieg durch den dichten Wald. In unzähligen kurzen Serpentinen führt der kleine Weg uns wieder runter ins Tal. Vorbei an am alten Telesiege, welcher im frühen 20. Jahrhundert in der Seilbahnpionierzeit erstellt wurde, um Chamonix mehr Toursimus zu verschaffen. Als dann die Italiener - auf der andern Seite des Mt Blanc eine Bahn bis ganz aufs Gletscherplateau rauf bauten, musste auch auf der französischen Seite "mehr" her. So wurde mithilfe Zwangsarbeitern und unter Auftreten zahlreicher Todesfälle die heutige Aiguille du Midi Bahn erbaut und 1955 eröffnet.
Auf dem Zustieg für "Mt Blanc in OneDay": Gondelbahnüberreste vor der Aiguille du midi, wo die heutige Bahn endet
 
Da hatte jemand eine strenge Arbeitswoche...

Abstieg im Sonnenuntergang mit Blick auf Chamonix runter und in die gegenüberliegenden Aiguilles Rouges

TAG 2: An unserem zweiten Chamonix-Tag inspizierten wir die gegenüberliegende Talseite von nahem. Mit leichten Schuhen starteten wir direkt vor unserem Auto in Les Gaillands. Durch den Wald und oben durchs freie Gelände stiegen wir bis kurz vor den Col du Brévent auf. Dort war leider Schluss, es hatte noch meterweise Schnee auf dem Pass. So hätte die ursprünlich geplante Runde zu lange gedauert. Oberhalb 2200müM sind die Aiguilles Rouge wohl erst ab Juli einigermassen schneefrei.
Unser "Basecamp": Les Gaillands...Aufstehen, Köcherle, Zähneputzen und Füsse tapen mit Bombenaussicht!
 
Mit jedem Ferientag werden die Zehen bunter...
 

Ab 2000müM gabs Fussabkühlung in Schneefeldern. Mein pinkiges Geburigschenk von Manu - Dynafit Transalper Shorts - eignet sich selbst für hüfttiefes Schneegestapfe hervorragend, da in Rekordgeschwindigkeit wieder trocknend!

Felsspitzchen ohne Ende, bekannte und weniger bekannte  :-)

TAG 3: Die Wanderung Richtung Mont Lachat war zu Beginn deutlich weniger spektakulär als gedacht, die Wege auf der ersten Streckenhälfte fast immer forstwegmässig. Auf der zweiten Streckenhälfte, im Abstieg auf schmalen Trails, wurde es aber unerwartet augenblicklich spannend: eine riesige Lawine stiebte auf der Mt Blanc Seite zu Tale. Bisher nahm ich an, dass sich selbst grosse (Eis)Lawinen nicht bis zum Talboden vorarbeiten, sondern bereits weiter oben in kleine Stücke und Staub "auflösen". Doch diese Lawine stoppte erst wenige Meter vor einem Forstweg auf dem Talboden. Unser Abstiegsweg führte rund 30 Meter neben der Lawinenzunge vorbei, welche dort gerade ein Bachbett zum kleinen See aufstaute. Eine gute Handvoll Lawinen, darunter auch ein imposanter Eisabbruch habe ich in den letzten Jahren live miterlebt - trotzdem, jedesmal bin ich von Neuem zutiefst beeindruckt von dieser Naturgewalt!
 
Staubwolke der niederpreschenden Lawine

Kein Stoppen bis im Tal !!!

Türmchen des gewaltigen Lawinenkegels
 
Wer findet die schmerzende Beule, die aktuell all meine Bergpläne über den Haufen wirft?
 
TAG 4: Zurück in Bern: Erledigungen stehen an, müde Bein werden geschont, und heute werden die Füsse nicht im Bachbett sondern wieder mal in der Dusche geschrubbt.

TAG 5: Gefühlte 30° Grad in Bern! Ab in den Schatten, ab in die Nordflanke des Niesens. Nach Auspowern und anschliessendem Mittagschläfchen im Schatten eines kleinen Hüttchens kühlten wir uns im nächstbesten Bach ab - was gibt es angenehmeres :-)!

TAG 6: Eigentlich wollte ich meine neuste (und wohl bisher teuerste des ganzen Lebens) Anschaffung heute zum allerersten Mal ausfahren. Doch nach wenigen Kilometern bewogen uns Donnergrollen, tiefschwarze Wolken und erste Regentropfen im Gesicht zur Umkehr. Auch wenn ich die rundlichen Rahmenformen von Carbonbikes weniger ästhetisch als die kantigeren der meisten Alubikes finde, zumindest gestern im Donnergrollen war es mir recht wohl, auf Carbon zu sitzen ;-). Doch Manu meinte, selbst ich hätte noch genug Metall am Bike...

TAG 7: Neuer Tag, zweiter Versuch, diesmal erfolgreich. Vom Kiental pedalten wir Richtung Tschingelsee. Baldmal gab es auf unserer Bachseite nur noch einen Singletrail. Mit jedem Meter wurde der schmale Weg steiler, wurzeliger und schlammiger. Nach guten 500 Höhenmetern Schieben, Tragen, Schwitzen und Knorzen kamen wir oben an auf dem Latrejenfeld Die Aussicht war genial, so stelle ich mir Biken vor, GENAU SO gefällt mit Biken. An dieser Stelle war mein Herz sich sicher, Biken ist Liebe auf den ersten Blick. Genau wie das Skitourengehen vor Jahren. Übermotiviert klebte ich Manu solange es ging am Hinterrrad, notfalls mit Puls 179/min - jedenfalls bis es runter ging, da wars endgültig vorbei. Mit früheren Downhillrennen Gleichgewichtsgedächtnis wird er mir wohl lebenslang davonfahren, wahrscheinlich sogar auf einem alten Damenvelo ;-). Nach 40Km und 1300 Höhenmetern beim Auto zurück war ich tot, hundetot - aber auch 200% zufrieden!


Ein Fussproblem ist genug - damit nicht noch ein Knieproblem dazukommt, habe ich für die erste Tour meine alten Inlineschoner aus dem Keller geholt ;-)
 
So gefällt mir Biken, GENAU SO!


TAG 8: Mit müden Bikebeinen (also, hauptsächlich ich:-D) zogs uns heute nicht weit in die Ferne, sondern nur auf ein "Güpfi" im Gurnigelgebiet, um dort bei Aussicht unser Sandwich zu verspeisen. Kaum zurück Zuhause, kam doch noch Bike-Lust auf,  so dass ich das erste Mal mit dem Bike auf einem der Berner Hausberge stand.

TAG 9: Heute musste abfahrtsmässig mehr her. Nach kurzer Aussichtsgeniess-Pause auf dem Gurten-Bänkli versicherte ich mich, dass weit und breit kein Downhiller stand, der mich auf der Piste von hinten plattrollen könnte ;-). Manu hinten nach fahrend vernichtete ich über Stufen, kleine Schänzchen und Holperpisten die Höhenmeter. Leider startete gleich "Tatort" im Fernsehen, so war Manu nicht zum Wiederaufstieg zu überreden.

TAG 10: Letzter Ferientag - ein letztes Mal luden wir die Bikes ins Auto. Start in Riffenmatt (Gantrischregion), um eine Tour aus dem Gantrisch Outdoorführer zu fahren. Die ersten 3/4 der Tour waren für mich recht enttäuschend, ich fand mich nicht wieder in meiner geliebten Bergwelt mit Aussicht, sondern mehrheitlich auf Teerstrassen oder Forstwegen ohne Fernblick. Doch die letzten Kilometer boten Trails vom feinsten, der Tag war gerettet. Nun musste ich einzig noch eine Magnum Almond retten. Es war meine Idee, diese in Riggisberg zu kaufen. Leider hatte ich dann aber auch noch die Idee, das süsse Mandelding in Manus Hände abzugeben und ihm zu gewähren, sich auf den Beifahrersitz zu begeben. Meine Betteleien um einen Schleck von der Glace kosteten wohl mehr Kalorien, als mir zu verspeisen gewährt wurden ;-).