Freitag, 4. September 2015

Badile-Granit, Urner Gneis, Trails und das tägliche Bachbad


SCHIJENSTOCK S-GRAT   Was soll man machen, wenn man bei Ferienbeginn eigentlich zuerst noch Ferien bräuchte, um sich für die Ferien vorher zu erholen? Da mir keine schlaue Lösung für die verzwickte Situation einfiel, stellte ich den Wecker - ignorant meiner Müdigkeit - auf drei Uhr in der ersten Feriennacht. Und es hat sich gelohnt!
Nachdem wir im Ostring unseren vierten Komplizen aus dem warmen Bett klingelten, weil dieser nicht zu abgemachter Zeit in Bergmontur an unserem Treffpunkt stand, fuhren wir auf die Göscheneralp. Auf dem Zustiegspfad zu unserem Klettergrat sahen wir ohne Stirnlampenlicht anfangs knapp genug, um nicht zu stolpern, beim Anseilen lächelte uns bereits die Sonne an.
Nebst den Abseilständen und vereinzelten Schlaghaken ist kaum Material zu finden in dieser Route. Aber macht nix, da sich der Schwierigkeitsgrad allermeist im 2-3er, gelegentlich im 4er und an der Schlüsselstelle im 5a-Bereich befindet. Bei rassenreiner Kaffekränzchen-Geschwindigkeit haben wir vom Einstieg bis Gipfel 5h benötigt, für den Abstieg zurück zum Auto weitere 3.5h (Auto-Auto rund 12h).

Zustieg vom Göscheneralpsee zum Einstieg des Schijenstock S-Grates

Couloir, welches zum Klettereinstieg auf dem S-Grat des Schijenstock führt

Schijenstock S-Grat

Schlüsselstelle des Schijenstock S-Grates
 
Gipfelpause auf dem Schijenstock

Abstieg (Wegfindung nicht allzu schwierig): Oben Gehstrecken/Kraxelei durchs Geröll. In der Mitte ein steinschlägiges Couloir, welches bei mehreren Seilschaften und Abständen zwischen den absteigenden Personen wohl zum Horror würde (div. Stories dazu im Internet zu finden), wir haben 2x abgeseilt mit 50m Einfachseil und sind den Rest vorsichtig abgestiegen. Unten Wanderung über Geröll bis zur Berghütte.

Letzter Stand im Abstiegscouloir

Geplant hatten wir, eine Nacht im Auto im Göschenertal zu schlafen und am Folgetag mit einem langen Trailrun bisschen die schöne Gegend auszukundschaften. Doch prognostizierter Nieselregen und Nebel sind nicht die fetten Lockvögel der Schönwetteralpinisten, so krebsten wir zurück nach Bern ins bequeme Bett Zuhause, in welches wir kurz vor Mitternacht recht müde reinfielen.

AB INS BERGELL   Nach zwei Schlechtwettertagen Zuhause in der bequemen Stube sehnten wir uns wieder nach schmerzenden Kletterfüssen und steilen Trails. So reisten wir Dienstags nach einem Gurtenjogging ins Bergell und quartierten uns spätabends auf dem gemütlichen Campingplatz "Plan Curtinac" in Maloja ein.
Camping Plan Curtinac: klein aber fein mit sauberen&warmen Duschen, Pizzeria und Bergsicht; zu dieser Jahreszeit wegen seiner Höhenlage schon recht feuchte Böden und frische Temperaturen, um 9:00 hatte die Sonne den Nebel weggefressen; 1 Übernachtung für Auto & 2 Personen 31.-; http://www.camping-maloja.ch/camping

PIZ BADILE N-KANTE - 1KM TRAUMGRANIT AM STÜCK!
Zustieg:   Nach einer morgendlichen Trailrunde ins Val Fedex rüber packten wir auf dem Campingplatz unsere sieben Sachen für die Piz Badile N-Kante.
Trailrunde ins Val Fedex (Ausgangspunkt Maloja)

Gegen eine kleine Gebühr (Ticketautomat vor Kirche) darf man vom Dörfchen Bondo aus weiter bis nach Laret (1377müM) fahren (offiziellen Parkplatz). Nach einer knappen Stunde Zustieg (ca 600Hm) über einen schmalen Pfad durch die steile Waldflanke erreichten wir die Capanna Sasc Furä. Nebst einem hütteneigenen Garten findet man dort ein sehr freundliches Wirtsteam, hausgemachten Früchtekuchen und eine Hüttenstube, die sehr zum verweilen einlädt, an. Auch über die Schlafsääle, welche mit Duvets und Kissen eingerichtet sind, kann man sich hier kaum beschweren. Und das beste war, im 14er-Schlag hat die ganze Nacht kein Schwein geschnarcht...für mich absolute Premiére :-)! Alles in allem also eine sehr empfehlenswerte Hütte!
N-Kante:   Um viertel vor fünf in der dunklen Nacht startete das Granit-Abenteuer über die imposante N-Kante des Piz Badile. Nach einer knappen Stunde Zustieg über einen Pfad - unten im nassen Unterholz, weiter oben über Geröll und Steinplatten - seilten wir unterhalb der Granitschulter an. Nach fünf Stunden über Platten und Schuppen und Klettern der Schlüsselstelle (Traverse, Führerliteratur bewertet sie mit 5a) bissen wir auf dem Gipfel hungrig ins Sandwich und erspähten in der Tiefe bereits unser heutiges Nachtlager auf der italienischen Seite, das Rifugio Gianetti. Dieses scheint in greifbarer Nähe, doch trennen uns noch rund drei Stunden Abstieg davon!

Erste, einfache, Kraxelmeter des Piz Badile: Aufstieg am langen Seil (oder sogar seilfrei) auf die Schulter
 
Piz Badile N-Kante: einfach wow!

schöne plattige Granit-Kletterei

Schlüsselstelle (5a-Traverse) der Piz Badile N-Kante, welche seit einem Felsausbruch besteht

Piz Badile N-Kante: das halbmondförmige Gratstück (etwas rechts der Bildmitte) mit Schatten auf seiner linke Seite bildet die Schulter, nach welcher die "richtige" Kletterei erst beginnt. Man erkraxelt die Schulter von ihrer schattigen Seite aus.

Piz Badile N-Kante: Auf dem leicht geneigten Plateau links neben der Kante befindet sich die Capanna Sasc Furä ganz vorne im bewaldeten Bereich. Der Zustieg auf die Schulter des Piz Badile erfolgt über das erwähnte Plateau.

Nicht nur bezüglich Wetter haben wir einen Prachtstag für den Badile ausgewählt, sondern auch bezüglich der Seilschaftsanzahl. Laut Hüttenwarte könnten sich bei gut Wetter locker mal 20 Seilschaften (ca 43 Hüttenplätz + Biwaks) auf dem Grat befinden. Heute waren es deren fünf in der Cassin-Route und sieben auf der N-Kante. Wir seilten als dritte Seilschaft für die N-Kante an, durften eine Bergführer-Dreierseilschaft (mit einem bestimmt  Ü70jährigen Kunden!) freundlicherweise schon früh überholen, warteten aber dann während der gesamten Gratkletterei zusammengezählt sicher eine ganze Stunde hinter einer italienischen Seilschaft, welche trotz ihrem gemütlichen Klettertempo partout nicht auf ihre erste Position nicht verzichten wollten. Überholen ohne bisschen mithilfe und Verständnis der zu überholenden Seilschaft ist nicht so gäbig, aber naja wir hatten ja heute alle Zeit der Welt und genossen die Aussicht. Bei der Länge der Tour (1Km Felsgrat) empfiehlt sich überwiegend das gleichzeitige Klettern. Sonst ergeht es einem womöglich wie einer belgischen unverletzten Seilschaft, welche vor dem Eindunkeln nach 28 Seillängen (!) mit dem Heli von der N-Kante geholt wurden und von zahlreichen neugierigen Blicken auf der Hüttenterasse der Capanna Sasc Furä "begrüsst" wurden. Wir haben einzig zwei Seillängen Stand-zu-Stand gesichert, den Rest sind wir gleichzeitig am langen Seil gekraxelt und erreichten so kurz vor Mittag den Gipfel und um 15:00 das Rifugio Gianetti. Die überwiegende Anzahl Zwischensicherungen baut man hier zwar selber (viele Schlingenzacken, Friends, gelegentlich auch einen Keil), aber wiederholt trifft man auf Normalhaken, alte Schlingen und verkeilte Friends. Seit 1997 existierend zudem Stände und Bohrhaken an heikleren Stellen.
Abstieg:   Den Abstieg über die S-Seite des Piz Badile sollte man keinesfalls unterschätzen - ich würde behaupten, die Routenfindung hier zählt genauso als Schlüsselstelle der Tour wie die 5a-Stelle und die Länge der N-Kante! Je nach Seillänge und Wegwahl seilt man rund 5-8x ab und erreicht anschliessend zu Fuss durch grobes Geröll in einer halben Stunde die Hütte. Vom Gipfel führt ein gut erkennbarer Pfad in Serpentinen runter zur ersten Abseilstelle.

Abstieg Piz Badile (in Richtung Rifugio Gianetti): über die linke "Seitenwand" der Rinne in Bildmitte steigt man ab, teilweise zu Fuss und teilweise abseilend. Es lohnt sich, Zuhause das Abstiegstopo mit den Abseilstellen zu studieren (Wegfindung!).

Abstieg Piz Badile: Suche nach der nächsten Abseilstelle

Ausblick vom Rifugio Gianetti zurück in Richtung Piz Badile. Es gäbe hier noch andere schöne Granitrouten...wenn mir nur das Rifugio Gianetti etwas sympathischer wäre ;-(!

Badile-Granit's Leibspeise: Landi-Handschuhe ;-)

Wir waren mit einem 50m-Einfachseil unterwegs, was laut Führerliteratur genügen solle, wenn im mittleren Teil des Abstieges die richtige Abseilpiste erwischt wird. Doch an der letzten Abseilstelle (durch ein Metallkreuz makiert) wurden wir etwas verdutzt mit unserem 50m-Strick. Anstatt abzuseilen mit anschliessend schlecht abschätzbarer Meteranzahl wohl ekliger Abkletterei, knüpften wir unser Seil mit jenem eines Bergführes zusammen, der sich in derselben Situation befand. Gebohrte Abseilstände sind oft mit einem roten Punkt markiert, das restliche Drittel besteht einzig aus einer Vielzahl alter UV-geschädigter Schlingen/Reepschnüre und wenn man Glück hat einer Maillon Rapid. An zwei Ständen haben wir es bevorzugt, Material (anstatt unser Leben) zurückzulassen.
PS: Während ich die Capanna Sasc Furà bedingungslos weiterempfehle, werde ich das Rifugio Gianetti keineswegs freiwillig ein zweites Mal besuchen. Zum identischen Preis wie auf der Schweizer Seite traf man eine ungemütliche Hütte mit Wolldecken und fehlender Nachschlagsmöglichkeit beim Nachtessen an. Auch waren die "88 Duschen und zahlreichen Winterreifen", welche die Website der Hütte anpries, nirgends zu sehen...es lebe hoch der Übersetzer dieser Website :D!
Rückweg:   Da gibt's zwei Möglichkeiten: 1) Rückwanderung zur Capanna Sasc Furä durchs Geröll über drei Pässe, 2) vom Rifugio Gianetti weiter ins Tal absteigen und mit dem Taxi zurück in die Schweiz. Geld lässt man bei beiden Varianten etwa gleich viel liegen, vorausgesetzt man teilt sich das Taxi zu viert (Hüttenkosten versus Taxikosten). Wir haben uns für Variante 1) entschieden, bei einem nächsten Mal würde ich ggf das Taxi bevorzugen (ungemütliche Hütte, Wanderung über pure Geröllpiste).
Nun die Story zu Variante 1): Am nächsten morgen konnten wir etwas länger schlafen als die Nacht vor dem Badile. Um sieben Uhr verliessen wir das Rifugio Gianetti, um den etwas mühseligen Rückweg zur Capanna Sasc Furä und anschliessen weiter zum Auto zurück anzutreten. Vom Rifugio aus steigt man über Felsplatten und Geröll ca 500 Höhenmeter in die erste der heutigen drei Passscharten (Passo Porcelizzo) auf. Oben angekommen, wird das einem das Herz nicht gerade warm, wenn man seinen Blick in das Abstiegscouloir wirft: steil, endlos Geröll, bei mehreren Leuten sehr steinschlaggefährlich! Zu dieser Jahreszeit lag zum Glück nur noch wenig bockharter Schnee in der Abstiegsrinne, früher im Jahr ist hier ohne scharfe Steigeisen und Pickel wohl kein Durchkommen! Wir mussten einzig ganz unten, fast schon auf dem Plateau, wenige Meter Stufenschlagen, um ein Schneefeld zu queren.
Nach einem weiteren kurzen Aufstieg passiert man kurz nach einem unspektakulären Pass eine rote Biwakschachtel, weiter geht's in rund dreissig Minuten - wiederum über Felsplatten und Geröll - in die dritte und letzte und steilste aller Passscharten (Passo della Trubinasca). Im Auf- sowie Abstieg hat es Kabel und die Passage wird vom pensionierten Wandererpärli, welches hinter uns folgte, wohl schon ziemliche Akrobatik verlangen. Nach einer weiteren guten Stunde Abstieg und Querung durch Gebüschlandschaft erreicht man die Capanna Sasc Furä. Nun wartet nur noch der knapp stündige Abstieg zum Auto. Insgesamt (inkl Pausen) haben wir für die Strecke Rifugio Gianetti bis Capanna Sasc Furä 6.5h benötigt (haben es sehr gemütlich genommen). Es gäbe immer mal wieder Seilschaften, welche die N-Kante und Rückkehr-Wanderung an einem Tag abspulen würde. Auch uns hätte es zeitlich in "One-Day" gereicht. Doch wären wir durch mögliche ungeplante Zeitverluste womöglich ins Eindunkeln gekommen, was die Fortbewegung auf dem Weg, bestehend aus einem Mix misstrittfreundlicher Geröllpiste und pfützenreichem glitschigschmierigem Urwaldpfad (letzte Kilometer vor der Capanna), nicht erleichtert hätte!

CHIAVENNA - ITALIENISCHE SCHLECKEREIEN & KLETTERPARADIES   Noch vor der grossen Hitze waren wir zurück vom Morgenrun nach Savogna (600Hm-5km-Runde, rauf über Steintreppen, in Savogna oben Aussicht nach Chiavenna und in die italienische Berglandschaft) und frühstückten auf dem Campingplatz in Borgonuovo (Cne di Piuro) ein zweites Mal :-).
Aussicht auf Chiavenna runter von der Kirchenmauer vom Dörfchen Savogna aus

Das "Steindörfchen" Savogna

Der Inhaber des Campingplatzes "Aquafraggia" (Guido Lisignoli, Bergführer) hat unzählige Kletterrouten in dieser Granit-Region eingerichtet (Topobücher und unzählige liebevoll selbstgezeichnete laminierte Topos liegen neben der Reception zum studieren auf !), es wimmelt hier von Kletter(gärten) nahezu. Einen haben wir am Nachmittag bei knapp 30° Celsius besucht (Sasso Del Drago, oberer Sektor). Für 6a gibt's eine Glacekugel, für 6b zwei, für 6b+ drei und ab 6c alles, was er will, lockte ich Manu in die steilen, teils sehr athletischen, Routen hinein. Schlussendlich war er so anständig und beschränkte sich auf drei Kugeln ;-), so konnten wir mit unseren restlichen Euros noch ein 1.2Kg-Stück Bresaola (luftgetrockneter Rinderschinken aus Valtellina) und anderes feines Zeug kaufen. Vor dem Einkaufsbummel durch die engen Pflastersteingässchen wuschen wir uns unter den Aquafraggia Wasserfällen noch den Kletterschweiss vom Rücken.
Website Camping Acquafraggia: http://www.campingacquafraggia.com/camping_de.html

Stärkung für die athletische Kletterei im Klettergarten Sasso del Drago (oberer Sektor)

Der schöne Fels des Klettergarten Sasso Del Drago (oberer Sektor) in Borgonuovo
 
Abkühlung bei den Aqua Fraggia Wasserfällen (rund 7min Gehstrecke vom gleichnamigen Campingplatz in Borgonuovo aus)
 
Unser deutlich wärmstes Bad dieser Ferien...aus den Bergbächen ist Manu deutlich schneller wieder rausgesprungen :-D

Infos Aqua Fraggia Wasserfälle: vom Autoparkplatz in 2min und vom gleichnamigem Camping in 7min am Flüsschen, auch mit Kindern super Badegelegenheit, an Schönwettertagen viele Leute; wenige Minuten nebenan steiler Klettergarten mit topfebenem Boden davor, wohl mit Routen so ab dem 6ten Grad, mit Schatten durch Bäume.

SPEEDHIKE NUFENEN-SAN BERNARDINO   Nach Glaceschlecken und Baden in Italien bei 30° Celsius sehnte zumindest ich mich nach etwas kälteren Regionen. So nächtigten wir auf dem Splügenpass und liefen am Folgetag von Nufenen auf den San Bernardino. Vom Parkplatz direkt neben der Hauptstrasse/Autobahn liegt einem nach wenigen Höhenmetern ein fast flaches Tal vor den Füssen (Top Runningstrecke), in welches man dem Areua-Bach entlang und mit Sicht auf Gletscherüberreste bis Alp de Rog hineinläuft. Dort zweigt man nach rechts ab und erreicht nach paar Hundert Höhenmetern ein weiteres Highlight der Tour, ein alpines Plateau. Vor dem kurzen Abstieg auf den San Bernardino haben wir noch ein Blitzbad (ranlaufen, 15sec später im Bach, 30sec im Wind trocknen lassen, zurück in die Kleider, weiterlaufen :-D) genommen, um das Postauto zurück nach Nufenen nicht allzusehr zu verdrecken. In Nufenen fanden wir per Zufall einen Bauern-Selbstbedienungsladen, desssen traumhaften Linzertörtchen unseren Bärenhunger fürs erste stillten.
Entlang dem weiter unten rauschenden Areua-Bach in Richtung Alp de Rog

Wie extra für Trailrunning erschaffenes Plateau (Höhepunkt der Strecke Nufenen - San Bernardino)

Endes des Plateaus, beginn des kurzen Abstieges auf den San Bernardino

Swissmap Mobile hat auch diese Ferien treue Dienste geleistet: Wir entschieden von Tag zu Tag spontan, wohin unsere Reise durch die halbe Schweiz weitergeht. So hatten wir natürlich nicht Kartenmaterial aller Regionen dabei, aber kamen mit Swissmap Mobile perfekt durch :-)!

URNER GNEIS ZUM ZWEITEN (SUSTENPASS)   Nach Gotthardstau parkierten wir unseren Caddy im Göschenertal, um am nächsten Tag auf der Urner Seite des Sustenpasses zu klettern. Hier, am Guferstock kletterte ich am Laufmeter ohne Probleme 6b's, es schien als hätte sich dieser Erdenfleck dem Schwerkraftgesetz entzogen, oder verliehen mir Gletscherpanorama, top Gneis, Plaisirabsicherung und der schöne Routenverlauf der "Leonessa" etwa Flügel? Nach unserem Gefühl kann man den Routen hier jeweils ca einen Drittelgrad abziehen, dh die 6b's erschienen uns eher als 6a undsoweiter.
Klettern am Guferstock

Manu staut unsere heutige "auserwählte Badewanne", damit sie etwas tiefer wird :-)

Noch bevor die Sonne unterging, fuhren wir auf einen Parkplatz auf der anderen Passseite. Nach Nudeln mit Tomatensauce, Büchsengemüse und Reibkäse aus Chiavenna beobachteten wir, wie die Sonne hinter den Wendenstöcken verschwand und krochen in unsere Schlafsäcke.

Noch paar Sonnenstrahlen geniessen auf unserem "Schlafparkplatz" am Sustenpass

TIERBERGLIHÜTTE & KLETTERGARTEN BIS DER HIMMEL TROPFT   Nach einem Speedhike mit kaum zu toppender Aussicht (=von mir über alles geliebte rauhe Gletscher-Fels-Bergwelt) vom Parkplatz Hotel Steingletscher bis in die gemütliche Stube der Tierberglihütte, bekamen wir dort mindestens weltbeste und riesengrosse Ovo's mit viel Schaum, dazu noch warme Nussgipfel mit Zuckerlasur :-). Dazu lasen wir im SLF-Heft die spannenden und zugleich lehrreichen Stories, Analysen und Tabellenwerten zu Lawinenunfällen letzten Winters.
Aufstieg zur Tieralplihütte: unten noch Teerstrasse, wird's weiter oben bald sehr alpin!

Im Aufstieg zur Tieralplihütte: wilde Gletscherumgebung

Noch wenige Meter bis zur Tieralplihütte

Ovo, Nussgipfel und  SLF-Statistiken in der gemütlichen Stube der Tieralplihütte :-)

Zurück beim Auto, fuhren wir wenige Meter den Sustenpass runter, bis zu einem Klettergarten direkt an der Passstrasse (Steingletscher, Sektor Hell). Dank angekündigtem Schlechtwetter hatten wir hier heute kaum Töff-Lärm. Und auch das gestrige Rätsel fehlender Schwerkraft löste sich nun: sie hat sich nämlich im Sektor Hell bequem gemacht, so kämpfte ich hier bereits in einer 5c! Wir haben die noch regenfreien Stunden voll ausgenutzt und rannten erst zum Auto rüber, als die Daunenjacken bereits nass waren. Bei diesem tristen Wetter freute wir uns nun sogar, für einige Tage nach Hause zu reisen.
Leider kommen im Klettersektor Hell zwei Faktoren zusammen, die nicht unbedingt angenehm sind, zum einen sind die schweren Stellen auf den untersten zwei Metern, zum andern die ersten zwei Bohrhaken recht hoch oben. Ein Bschisser-Stäckli würde das Problem natürlich lösen.

SPEEDHIKING IM WHITEOUT   Nach einem Tag Aufräumen und einzig Kletterhallenbesuch, wollten wir uns nochmal etwas mehr bewegen. Von Stechelberg aus liefen wir via Sefinental in Richtung Schilthorn rauf. Mit jedem Höhenmeter wurde der Pfad schmaler und nasser, und wir gerieten so ziemlich ins Whiteout und auf den letzten Höhenmetern auch noch in Nieselregen. So beschlossen wir, das Weichei rauszuhängen und unsere Anstrengung bei Kuchen und Ovo im Restaurant der Mittelstation Birg, anstatt auf dem Schilthorngipfel, zu beenden ;-). Da wir uns nach knappen 2000 Höhenmetern wohl wie ausgehungerte Löwen über den Kuchen hermachten, beschenkte uns der Angestellte ganz mitleidig noch mit Pralinen, bevor wir in die Bahn zurück nach Stechelberg stiegen.

Längst nicht überall war der Weg so trocken und die Sicht noch deutlich über 20 Meter weit da!

Mhhhh :-)

Montag, 29. Juni 2015

Kalte Kletterfinger und schweissige Trailfüsse


NUFENEN - TROPFENDER GRANIT & SIDELHORN-PANORAMA Anstatt sonnengewärmtem Granit fuhren wir am Nufenenpass leider einzig dem Regenwetter und erstaunlicher Schneemenge entgegen. Pech gehabt, so mussten wir halt spontan mit Matsch-Wandern Vorliebe nehmen.
Am ersten Tag noch mit gedämpfter Motivation in den Hängen auf der Südseite des Nufenenpass herumirrend, "bestiegen" wir am nächsten Morgen das Sidelhorn von Ulrichen aus. Der Kampf durch 1800 Höhenmeter geprägt durch Wind und Matsch wurde belohnt mit Aussicht auf den grün schimmernden Grimselsee, den Aargletscher und die umliegenden Viertausender, was unserer Ferienlaune bereits deutlichen Aufschwung verlieh. Fast im Sekundentakt verschwand das Panorama in vom Wind verwehten Nebelschwaden, um kurz darauf wieder in voller Klarheit zu erscheinen.
Hier begann eine kurze Kraxelei auf den Sidelhorngipel. Abgestiegen sind wir dann wohl so circa über den offiziellen Weg (lag noch unter der Schneedecke).

Fantastische Aussicht vom Sidelhorn auf grüne und blaue Seen, Gletscher und hohe Gipfel

Yeah, Sidelhorngipfel bessert unsere anfänglich schlechtwetter-gedämpfte Ferienlaune
 
CHAMONIX - KALTE KLETTERFINGER & SCHWEISSIGE TRAILFÜSSE Beim Znacht-Köcherle auf dem Flughafenparkplatz in Ulrichen haben wir uns besonnen, dass wir ja diesen Sommer eigentlich nicht Wandern sondern viel Klettern wollen. Beim ausgiebigen Wetterstudium zeigte sich im Dreiländereck ein kleines Hochdruckgebiet, so dass wir unsere sieben Sachen zusammenpackten und gleichenabends  - Kofferraum voll mit Felsklettermaterial - nach Chamonix runterfuhren und unser Biwak auf Rädern - den VW Caddy - in Les Gaillands parkten.

Fahrendes Biwak "VW Caddy" :-)

Mit Blick ins durch die ersten Sonnenstrahlen glitzernde Mt Blanc Massiv verspiesen wir am nächsten Morgen Müesli mit Milchpulver und inventarisierten Kletterseile, Karabiner und Friends, bevor wir mit der Seilbahn auf den Brévent fuhren. Durch die Südflanke des Brévent führen mehrere Mehrseillängen-Routen, für heute wählten wir die "Frison-Roche" (6a, 6 SL). Dort holten wir uns bei etwas Wind und zwischendurch Schneeflöckeln kalte Finger aber besonders auch Zufriedenheit, dass endlich ein erster Klettertag unserer 11-tägigen Ferien geglückt ist.

Frison-Roche Route (am Le Brévent in den Aiguilles Rouges)

Um Fingerbeerenhaut nachwachsen zu lassen (zurzeit besitzen wir eher Büroweicheier-Finger anstatt dicke Hornhaut...), wanderten/liefen wir am Folgetag in den Trailrunning-Schuhen in Chamonix los. Via Zickzack-Pfad durch den Wald erreichten wir die Bergstation der Montenvers-Bahn und traversierten rüber nach Plan de l'Aiguille. Während Manu dort in die vielen kletterbaren Granit-Aiguilles feldstecherte, beobachtete ich das Volk, das hier oben mit der Bahn ankam: eine Gruppe junger Männer mit Taschen voller Bier und Chips, als müssten sie sich während eines 4-tägigen Gurtenfestivals hauptsächlich flüssigernähren, ausgelassene Japaner im Selfie-Rausch und solche, die ihren wohl extra für diesen Ausflug geshoppten Bergpickel in kurzen Hosen und Halbschuhen eine 10-minütige Runde spazierenführten. Auf dem Abstieg zurück nach Chamonix wurde es dermassen schwül-warm, dass wir beschlossen, morgen einen weiteren Tag mit Mehrseillängenklettern in der Höhe zu verbringen.

Traversierender Pfad von der Montenvers-Bahnbergstation rüber nach Plan de l'Aiguille. Hier mit Blick auf Mer de Glace.

Dass die Filidor-Kletterführer alles zu geben, um den Zustieg zum Hauptabenteuer werden zu lassen, ist bekannt. Anstatt 50 Minuten über einen Wanderweg stiegen wir 1.5 Stunden über Weglein, steile Grashänge und Schutthalden zum Einstieg der Route Cocher-Cochon (6a, 8 SL), welche durch feingriffigen Granit auf den Zipfel des Clocher-Clocheton führt.

Abseilen von einem Türmchen in der Route Cocher-Cochon

Völlig "in die Route versenkt", knurrte der Magen erst, als wir um 16:30 Uhr bereits abgeseilt und einen Teil abgestiegen sind. Wegen dem nun aber beinahe unstillbarem Bärenhunger vergassen wir komplett, dass sehr bald die letzte Bahn nach Chamonix runterfährt. Die ungeplanten 1000 Höhenmeter Abstieg wurden aber weniger schlimm als gedacht, wurden sie doch immer wieder unterbrochen durch das Walderdbeeren-Pflücken. Wir erklärten uns die Unversehrtheit dieses Erdbeerparadies (rot soweit das Auge sieht!) dadurch, dass dies eine Vertical Strecke ist und die Läufer beim raufjufeln wohl ganz anderes als Beeren im Kopf haben.

Vertical-Zickzackpfad von der Mittelstation der Brévent-Bahn runter zur Talstation in Chamonix: Erdbeerliebhaberparadies...


CHAMONIX - BIWAK IM SCHNEELOCH & MIXEDGELÄNDE Nebst der reinen Felskletterei lockte uns dann doch auch noch der Schnee und das Eis, so dass wir einen kleinen Abstecher zurück nach Bern einlegten, um die Steileispickel und den Biwaksack zu holen. Zudem konnten wir so noch meinem Vater eine traumhafte Ecke des Berner Oberlands wandernd zeigen.

Sicht auf Thunersee vom "Sigriswilergrat" aus

Zurück in Chamonix stiegen wir mit je ca 16Kg Rucksack (Schlafsäcke, Biwaksack, Kocher, Seile, Steigeisen, 3min-Nudeln...) in die erste Bahn, welche uns innert Minuten auf rund 3800müM brachte. Das ganze Biwakmaterial deponierten wir in einem Schneeloch auf dem Gletscherplateau.

Mit 16 Kg Rucksack im Schneeloch angekommen :-)

Nach etwas Gletschterlatscherei sowie Traversierung von Lachenal und Arete Cosmiques erreichten wir so ziemlich auf die Sekunde genau die gerade noch offene Terassentür der Aiguille du midi Bahn. Da endet die Route, und um vom Grat zurück zum Schneeloch zu gelangen, muss man durch den Betonbau der Bahn. Anstatt aus einer Schaar bewundernder Japaner bestand das Terrassen-Empfangskomitee hier heute aus einem grantigen Bahn-Mitarbeiter, der uns mit dem Türschluss "vor der Nase" drohte, wenn unser 50m-Seil nicht ruckzuck aufgenommen sei. Ob abends die Türen wirklich abgeschlossen (oder nur zugeschoben) werden, ist uns nachwievor unklar.

Traversierung Lachenal
 
Arete Cosmiques

Nach Nudelsuppe, Nussrollen und einer gefrorenen Pfirsich verzogen wir uns in den Biwaksack. Geschlafen hat vor allem Manu. Ich habe mich dummerweise entschieden, unsere dünne "Eierschachtelmatte" im Biwak auf rund 3700müM zu testen - mit kalten Füssen und Positionswechseln alle gefühlten 15 Minuten aufgrund Druckstellen an Schultern und Hüften war ich mir ziemlich reuig. Dafür hatte ich alle Zeit der Welt, den Sternenhimmel zu beobachten und dem Wind, der unseren Biwaksack unaufhörlich zum Rascheln brachte, zu lauschen. Morgens bei Sonnenaufgang durfte ich mich, währendem Manu bereits mit dem allerletzten Streichholz (Feuerzeug streikte in dieser Höhe) Schnee auf dem Kocher schmolz, noch eine halbe Stunde auf seiner bequemen Matte erholen ;-).

Schneeloch auf rund 3700müM: unsere Küche und unser Schlafzimmer für 2 Tage
 
Bereits im Schlafsack, die letzten Sonnenstrahlen und die Aussicht in unzählige Routen geniessend

Bereits während dem Zmorgen (Standardbiwakmenu "Müesli mit lauwarmem Wasser und Milchpulver") im Schneeloch konnten wir den Blick in unsere heutige Route, Contamine-Grisolle (einer der zahlreichen Nordflankenrouten des Triangle du Tacul) werfen. Die Route bietet 350Hm Mixedgelände bis 60° (Ausstiegscouloir), der Abstieg führt entlang der Normalroute Mt Blanc du Tacul. Wir haben die Route an zwei Stellen etwas anders geklettert als die zwei weiteren Seilschaften.
1) Im untersten Teil der Schneeflanke sind wir ganz rechts aufgestiegen (rechts neben kleiner Felsformation), dort ists zwar steiler als weiter links und heute etwas vereist, aber dafür direkter.
2) Nach kurzer eisgefüllter Verschneidung am Ende der gut 55° steilen Schneeflanke (heute Schnee aller Qualitäten vorgefunden, von Trittschnee über bereits feucht bis Presspulver und vereist) sind wir orographisch links in ein vereistes ca 50m langes Couloir eingebogen, welches wir teilweise geschraubt haben. Dieses Couloir kann man scheinbar auch umgehen, indem man rechts von der Schlinge einen einfachen Aufschwung raufklettert.
Die Route ist nicht überall und immer gut abzusichern. Eisige Stellen haben wir geschraubt, brauchbare Schlingenzacken existieren in begrenzter Anzahl (Fels hauptsächlich abwärtsgeschichtet). An den rechten Begrenzungsfelsen des Schneefeldes hats im oberen Drittel eine gut sichtbare Schlinge und rund 15 Meter vor Schneefeldende 2 Schlaghaken (von unten schlecht sichtbar, haben sie erst bemerkt, als wir schon weit drüber waren). Bei der vereisten Verschneidung am Schneefeldende haben wir einen Stand mit Schraube und Friend gebaut. Nach genannter Verschneidung kommt ein weiteres kurzes steiles Schneefeld, an dessen Ende sich zwei Schlingen als Stand anerbieten. An weiteres Material in der Route kann ich mich nicht mehr erinnern.
 
Erste Schneeflanke der Contamine-Grisolle
 
Vereiste Verschneidung am Ende erster Schneeflanke


Unterer Abschnitt des ersten Couloir (kurz nach vereister Verschneidung)


Flacher oberster Abschnitt des ersten Couloir


Einstieg ins Ausstiegscouloir

Abstieg über Normalroute des Mt Blanc du Tacul

Überblick über Auf- und Abstieg der Contamine-Grisolle

Mehr Impressionen zur Contamine-Grisolle (Autor "Equipe Ice-Fall"):
https://www.youtube.com/watch?v=oCD9x51VVHw

UMRUNDUNG AIGUILLE DE LORIAZ Nach zwei Tagen auf dem Gletscherplateu machte es uns nichts aus, uns wiedermal die Sonnencreme aus dem Gesicht und den Schweiss von den Füssen zu baden. In jeden Ferien dasselbe - für den ersten Sprung ins kalte Nass brauchts jeweils recht Überwindung, für die restlichen Ferientage hat das Hirn dann gespeichert, wie erfrischend-schön es sich saubergebadet anfühlt :-)! Mit sauberen Füssen fuhren wir nach Vallorcine auf den Campingplatz, um am Folgetag mit einem Kollege von Manu die Aiguille de Loriaz zu umwandern. Manu erinnert den Anblick dieser Aiguille vorallem an stundenlanges Abseilen nach spannender Gratkletterei vor einigen Jahren. Zum Ferienabschluss leisten wir uns noch ein richtig grosses fetttriefendes Entrecote inmitten einem grossen Haufen Pommes/Nudeln im urchigen Hotel de Buet, dessen Wirt uns mit seinem speziellen Humor amüsiert und uns mit leckerem Aprikosenkuchen beschenkt.