Montag, 29. Juni 2015

Kalte Kletterfinger und schweissige Trailfüsse


NUFENEN - TROPFENDER GRANIT & SIDELHORN-PANORAMA Anstatt sonnengewärmtem Granit fuhren wir am Nufenenpass leider einzig dem Regenwetter und erstaunlicher Schneemenge entgegen. Pech gehabt, so mussten wir halt spontan mit Matsch-Wandern Vorliebe nehmen.
Am ersten Tag noch mit gedämpfter Motivation in den Hängen auf der Südseite des Nufenenpass herumirrend, "bestiegen" wir am nächsten Morgen das Sidelhorn von Ulrichen aus. Der Kampf durch 1800 Höhenmeter geprägt durch Wind und Matsch wurde belohnt mit Aussicht auf den grün schimmernden Grimselsee, den Aargletscher und die umliegenden Viertausender, was unserer Ferienlaune bereits deutlichen Aufschwung verlieh. Fast im Sekundentakt verschwand das Panorama in vom Wind verwehten Nebelschwaden, um kurz darauf wieder in voller Klarheit zu erscheinen.
Hier begann eine kurze Kraxelei auf den Sidelhorngipel. Abgestiegen sind wir dann wohl so circa über den offiziellen Weg (lag noch unter der Schneedecke).

Fantastische Aussicht vom Sidelhorn auf grüne und blaue Seen, Gletscher und hohe Gipfel

Yeah, Sidelhorngipfel bessert unsere anfänglich schlechtwetter-gedämpfte Ferienlaune
 
CHAMONIX - KALTE KLETTERFINGER & SCHWEISSIGE TRAILFÜSSE Beim Znacht-Köcherle auf dem Flughafenparkplatz in Ulrichen haben wir uns besonnen, dass wir ja diesen Sommer eigentlich nicht Wandern sondern viel Klettern wollen. Beim ausgiebigen Wetterstudium zeigte sich im Dreiländereck ein kleines Hochdruckgebiet, so dass wir unsere sieben Sachen zusammenpackten und gleichenabends  - Kofferraum voll mit Felsklettermaterial - nach Chamonix runterfuhren und unser Biwak auf Rädern - den VW Caddy - in Les Gaillands parkten.

Fahrendes Biwak "VW Caddy" :-)

Mit Blick ins durch die ersten Sonnenstrahlen glitzernde Mt Blanc Massiv verspiesen wir am nächsten Morgen Müesli mit Milchpulver und inventarisierten Kletterseile, Karabiner und Friends, bevor wir mit der Seilbahn auf den Brévent fuhren. Durch die Südflanke des Brévent führen mehrere Mehrseillängen-Routen, für heute wählten wir die "Frison-Roche" (6a, 6 SL). Dort holten wir uns bei etwas Wind und zwischendurch Schneeflöckeln kalte Finger aber besonders auch Zufriedenheit, dass endlich ein erster Klettertag unserer 11-tägigen Ferien geglückt ist.

Frison-Roche Route (am Le Brévent in den Aiguilles Rouges)

Um Fingerbeerenhaut nachwachsen zu lassen (zurzeit besitzen wir eher Büroweicheier-Finger anstatt dicke Hornhaut...), wanderten/liefen wir am Folgetag in den Trailrunning-Schuhen in Chamonix los. Via Zickzack-Pfad durch den Wald erreichten wir die Bergstation der Montenvers-Bahn und traversierten rüber nach Plan de l'Aiguille. Während Manu dort in die vielen kletterbaren Granit-Aiguilles feldstecherte, beobachtete ich das Volk, das hier oben mit der Bahn ankam: eine Gruppe junger Männer mit Taschen voller Bier und Chips, als müssten sie sich während eines 4-tägigen Gurtenfestivals hauptsächlich flüssigernähren, ausgelassene Japaner im Selfie-Rausch und solche, die ihren wohl extra für diesen Ausflug geshoppten Bergpickel in kurzen Hosen und Halbschuhen eine 10-minütige Runde spazierenführten. Auf dem Abstieg zurück nach Chamonix wurde es dermassen schwül-warm, dass wir beschlossen, morgen einen weiteren Tag mit Mehrseillängenklettern in der Höhe zu verbringen.

Traversierender Pfad von der Montenvers-Bahnbergstation rüber nach Plan de l'Aiguille. Hier mit Blick auf Mer de Glace.

Dass die Filidor-Kletterführer alles zu geben, um den Zustieg zum Hauptabenteuer werden zu lassen, ist bekannt. Anstatt 50 Minuten über einen Wanderweg stiegen wir 1.5 Stunden über Weglein, steile Grashänge und Schutthalden zum Einstieg der Route Cocher-Cochon (6a, 8 SL), welche durch feingriffigen Granit auf den Zipfel des Clocher-Clocheton führt.

Abseilen von einem Türmchen in der Route Cocher-Cochon

Völlig "in die Route versenkt", knurrte der Magen erst, als wir um 16:30 Uhr bereits abgeseilt und einen Teil abgestiegen sind. Wegen dem nun aber beinahe unstillbarem Bärenhunger vergassen wir komplett, dass sehr bald die letzte Bahn nach Chamonix runterfährt. Die ungeplanten 1000 Höhenmeter Abstieg wurden aber weniger schlimm als gedacht, wurden sie doch immer wieder unterbrochen durch das Walderdbeeren-Pflücken. Wir erklärten uns die Unversehrtheit dieses Erdbeerparadies (rot soweit das Auge sieht!) dadurch, dass dies eine Vertical Strecke ist und die Läufer beim raufjufeln wohl ganz anderes als Beeren im Kopf haben.

Vertical-Zickzackpfad von der Mittelstation der Brévent-Bahn runter zur Talstation in Chamonix: Erdbeerliebhaberparadies...


CHAMONIX - BIWAK IM SCHNEELOCH & MIXEDGELÄNDE Nebst der reinen Felskletterei lockte uns dann doch auch noch der Schnee und das Eis, so dass wir einen kleinen Abstecher zurück nach Bern einlegten, um die Steileispickel und den Biwaksack zu holen. Zudem konnten wir so noch meinem Vater eine traumhafte Ecke des Berner Oberlands wandernd zeigen.

Sicht auf Thunersee vom "Sigriswilergrat" aus

Zurück in Chamonix stiegen wir mit je ca 16Kg Rucksack (Schlafsäcke, Biwaksack, Kocher, Seile, Steigeisen, 3min-Nudeln...) in die erste Bahn, welche uns innert Minuten auf rund 3800müM brachte. Das ganze Biwakmaterial deponierten wir in einem Schneeloch auf dem Gletscherplateau.

Mit 16 Kg Rucksack im Schneeloch angekommen :-)

Nach etwas Gletschterlatscherei sowie Traversierung von Lachenal und Arete Cosmiques erreichten wir so ziemlich auf die Sekunde genau die gerade noch offene Terassentür der Aiguille du midi Bahn. Da endet die Route, und um vom Grat zurück zum Schneeloch zu gelangen, muss man durch den Betonbau der Bahn. Anstatt aus einer Schaar bewundernder Japaner bestand das Terrassen-Empfangskomitee hier heute aus einem grantigen Bahn-Mitarbeiter, der uns mit dem Türschluss "vor der Nase" drohte, wenn unser 50m-Seil nicht ruckzuck aufgenommen sei. Ob abends die Türen wirklich abgeschlossen (oder nur zugeschoben) werden, ist uns nachwievor unklar.

Traversierung Lachenal
 
Arete Cosmiques

Nach Nudelsuppe, Nussrollen und einer gefrorenen Pfirsich verzogen wir uns in den Biwaksack. Geschlafen hat vor allem Manu. Ich habe mich dummerweise entschieden, unsere dünne "Eierschachtelmatte" im Biwak auf rund 3700müM zu testen - mit kalten Füssen und Positionswechseln alle gefühlten 15 Minuten aufgrund Druckstellen an Schultern und Hüften war ich mir ziemlich reuig. Dafür hatte ich alle Zeit der Welt, den Sternenhimmel zu beobachten und dem Wind, der unseren Biwaksack unaufhörlich zum Rascheln brachte, zu lauschen. Morgens bei Sonnenaufgang durfte ich mich, währendem Manu bereits mit dem allerletzten Streichholz (Feuerzeug streikte in dieser Höhe) Schnee auf dem Kocher schmolz, noch eine halbe Stunde auf seiner bequemen Matte erholen ;-).

Schneeloch auf rund 3700müM: unsere Küche und unser Schlafzimmer für 2 Tage
 
Bereits im Schlafsack, die letzten Sonnenstrahlen und die Aussicht in unzählige Routen geniessend

Bereits während dem Zmorgen (Standardbiwakmenu "Müesli mit lauwarmem Wasser und Milchpulver") im Schneeloch konnten wir den Blick in unsere heutige Route, Contamine-Grisolle (einer der zahlreichen Nordflankenrouten des Triangle du Tacul) werfen. Die Route bietet 350Hm Mixedgelände bis 60° (Ausstiegscouloir), der Abstieg führt entlang der Normalroute Mt Blanc du Tacul. Wir haben die Route an zwei Stellen etwas anders geklettert als die zwei weiteren Seilschaften.
1) Im untersten Teil der Schneeflanke sind wir ganz rechts aufgestiegen (rechts neben kleiner Felsformation), dort ists zwar steiler als weiter links und heute etwas vereist, aber dafür direkter.
2) Nach kurzer eisgefüllter Verschneidung am Ende der gut 55° steilen Schneeflanke (heute Schnee aller Qualitäten vorgefunden, von Trittschnee über bereits feucht bis Presspulver und vereist) sind wir orographisch links in ein vereistes ca 50m langes Couloir eingebogen, welches wir teilweise geschraubt haben. Dieses Couloir kann man scheinbar auch umgehen, indem man rechts von der Schlinge einen einfachen Aufschwung raufklettert.
Die Route ist nicht überall und immer gut abzusichern. Eisige Stellen haben wir geschraubt, brauchbare Schlingenzacken existieren in begrenzter Anzahl (Fels hauptsächlich abwärtsgeschichtet). An den rechten Begrenzungsfelsen des Schneefeldes hats im oberen Drittel eine gut sichtbare Schlinge und rund 15 Meter vor Schneefeldende 2 Schlaghaken (von unten schlecht sichtbar, haben sie erst bemerkt, als wir schon weit drüber waren). Bei der vereisten Verschneidung am Schneefeldende haben wir einen Stand mit Schraube und Friend gebaut. Nach genannter Verschneidung kommt ein weiteres kurzes steiles Schneefeld, an dessen Ende sich zwei Schlingen als Stand anerbieten. An weiteres Material in der Route kann ich mich nicht mehr erinnern.
 
Erste Schneeflanke der Contamine-Grisolle
 
Vereiste Verschneidung am Ende erster Schneeflanke


Unterer Abschnitt des ersten Couloir (kurz nach vereister Verschneidung)


Flacher oberster Abschnitt des ersten Couloir


Einstieg ins Ausstiegscouloir

Abstieg über Normalroute des Mt Blanc du Tacul

Überblick über Auf- und Abstieg der Contamine-Grisolle

Mehr Impressionen zur Contamine-Grisolle (Autor "Equipe Ice-Fall"):
https://www.youtube.com/watch?v=oCD9x51VVHw

UMRUNDUNG AIGUILLE DE LORIAZ Nach zwei Tagen auf dem Gletscherplateu machte es uns nichts aus, uns wiedermal die Sonnencreme aus dem Gesicht und den Schweiss von den Füssen zu baden. In jeden Ferien dasselbe - für den ersten Sprung ins kalte Nass brauchts jeweils recht Überwindung, für die restlichen Ferientage hat das Hirn dann gespeichert, wie erfrischend-schön es sich saubergebadet anfühlt :-)! Mit sauberen Füssen fuhren wir nach Vallorcine auf den Campingplatz, um am Folgetag mit einem Kollege von Manu die Aiguille de Loriaz zu umwandern. Manu erinnert den Anblick dieser Aiguille vorallem an stundenlanges Abseilen nach spannender Gratkletterei vor einigen Jahren. Zum Ferienabschluss leisten wir uns noch ein richtig grosses fetttriefendes Entrecote inmitten einem grossen Haufen Pommes/Nudeln im urchigen Hotel de Buet, dessen Wirt uns mit seinem speziellen Humor amüsiert und uns mit leckerem Aprikosenkuchen beschenkt.